Die vergleichsweise kurze Glanzzeit des „Thüringer Versailles“ genannten Schlosses Molsdorf lag zwischen 1733 und 1748, als Gustav Adolf Reichsgraf von Gotter das alte Rittergut mit spätmittelalterlicher Wasserburg zum prachtvollen Landsitz umbauen ließ und hier seinem verschwenderischen Lebensstil frönte. Der von König Friedrich dem Großen mit dem Generaldirektorenamt der Berliner Oper betraute, umfassend gebildete und geistreiche Graf von Gotter feierte (beging) hier ausschweifende Festivitäten mit hochrangigen Gästen. Als eine der schillerndsten Figuren des 18. Jahrhunderts war er nicht nur Diplomat, preußischer Gesandter und Minister, sondern auch Staats- und Kriegsrat sowie einer der vier Kuratoren der Königlichen Akademie der Wissenschaften. Als Opernintendant übernahm er den organisatorischen Ablauf und die Regie der Opernaufführungen, was ein zeitgenössischer Beobachter wie folgt veranschaulichte:
„In den äußersten Logen des dritten Ranges zunächst der Bühne waren die Trompeter und Pauker der Garde du Corpes [sic!] und des Regiments Gens d'armes aufgestellt, welche beim Eintritt des Königs und am Ende der Oper Tusch bliesen. […] Der König trat durch die Partherrethür links neben dem Orchester ein, grüsste bei dem Tusch das Publikum und setzte sich sofort auf seinen Armsessel. Graf von Gotter, als Intendant des Spectacles, stand hinter dem Stuhle des Königs und gab dem wartenden Capellmeister das Zeichen zum Beginn der Ouvertüre, sobald Seine Majestät sich gesetzt hatte."1
Diese Art von Repräsentationslust übernahm Graf von Gotter auch für seine Privatspektakel in Schloss Molsdorf, da er genauso wie sein Dienstherr Friedrich II. kulturelle Feierlichkeiten als Bühne für die Begegnung und Festigung von Beziehungen verschiedenster Art nutzte. Die Abgeschiedenheit seines „Versailles“ machte es ihm möglich, sich selbst als Zentrum eines eigenen Refugiums zu inszenieren und als sein eigener Intendant Festivitäten zu gestalten, was ihm offensichtlich großes Vergnügen bereitete. Dass dabei musikalische Beiträge nicht fehlten, dürfte außer Frage stehen, obgleich die überschaubaren Platzverhältnisse im Schloss sicher nicht zum Engagement einer ganzen Kapelle, sondern eher von handverlesenen Musikern geführt haben dürften.
Auch mit dem Umbau des Schlosses Molsdorf im französisch-repräsentativen Stil eiferte der Graf seinem großen Vorbild in Berlin nach. Wie Sanssouci sollte dieser Ort von der Wirkmacht seines Standes zeugen. Auch hier ist das Bestreben nach Selbstlegitimierung, welches die beiden ambitionierten Führungspersönlichkeiten vereinte, unverkennbar. Von Friedrich dem Großen wurde Graf von Gotter sogar zeitlebens bewundert, wahrscheinlich weil jener vermochte, was dem Preußenkönig selbst versagt war: ein Lebemann sein, verschwenderisch, prunkvoll und unbeschwert die Tage genießen. Sein Leitspruch „Vive la joie“ – „Es lebe die Freude“ ist noch heute im Schloss Molsdorf zu finden.
Vom kulturellen Reichtum der Fürstenhöfe profitierten in Thüringen auch die kleinen Städte und Dörfer. Musikalien gelangten durch Abschriften hierhin und wurden von den durch Dorfkantoren ausgebildeten Adjuvanten (Laienmusikern) aufgeführt. Das hohe musikalische Niveau der ländlichen Bevölkerung lässt sich erahnen, wenn man heute die in Pfarrarchiven verwahrten Kompositionen von Weltrang entdeckt. Auch aus Molsdorf ist ein solches Archiv überliefert, aus dem die Arie „Mein Herze bricht, geliebtes Herze“ im Musikfilm zitiert wird.
Schloss Molsdorf
Gottfried Heinrich Stölzel (1690–1749)
Triosonate in B-Dur
“Trio ex B-dur (sic)”
o. Bez., Andante, Allegro
Entstehungsort: unbekannt
Entstehungsjahr: unbekannt
Carl Heinrich Graun (1704–1759)
“Sento, mio dolce amore”
Aus: “Cleopatra e Cesare”
Entstehungsort: Berlin
Entstehungsjahr: 1742
Gottfried Heinrich Stölzel – Lokalmatador von internationalem Format
Gottfried Heinrich Stölzel steht häufig im Schatten seiner weltbekannten Zeit- und Landesgenossen Georg Friedrich Händel und Johann Sebastian Bach. Letzterer muss ihn aufrichtig geschätzt haben, finden sich doch einige seiner Werke in Abschriften Bachs und seiner Familie; das bekannteste ist die Arie Bist du bei mir aus dem Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach, die aus Stölzels 1718 in Bayreuth geschriebener Oper Diomedes stammt. Stölzels Ruf dürfte zu Lebzeiten sehr gut gewesen sein – Engagements in Prag, Bayreuth und Gera zeugen davon. Anders als Bach und genau wie Händel hatte er einige Jahre in Italien verbracht und sich dort im Umfeld von Francesco Gasparini, Antonio Vivaldi und Giovanni Bononcini musikalisch weitergebildet. Ab 1719 war er Hofkapellmeister am Gothaer Hof, dessen Musikleben er für 30 Jahre prägte. Er legte dort eine für heutige Maßstäbe geradezu unwahrscheinliche Produktivität an den Tag: Allein zwölf Kantatenjahrgänge sind uns zumindest in Teilen überkommen, außerdem zählen Opern, Serenate, Sinfonien und Kammermusik zu seinen Werken.
Das Schloss Molsdorf gehörte bis 1748 dem in Gotha geborenen Reichsgrafen von Gotter, der nach dem Umbau zum Lustschloss dort ausgiebige (und teure) Feste feierte – unter Beteiligung von Mitgliedern des Berliner Hofs, aber sicher auch mit Angehörigen des nahegelegenen Hofs von Sachsen-Gotha, der zu seiner Zeit von Herzog Friedrich III. und seiner hoch gebildeten Gattin Luise Dorothea geführt wurde. Es ist anzunehmen, dass Gottfried Heinrich Stölzel als Hofkapellmeister das Herzogspaar bei solchen Anlässen begleitete. Zudem gelangte das Schloss nach dem durch Geldnot bedingten Verkauf an den Gothaer Hof – Auch wenn Stölzel bereits 1749 starb, ist es nicht unwahrscheinlich, dass er sich in dieser Zeitspanne noch im Schloss aufgehalten hat.
Da das Schloss keine großen Räume aufweist, lädt es zur musikalisch „kleinen Form“ ein: Entweder passt man die Orchestrierung eines größer besetzten Stücks an die Platzverhältnisse an (so geschehen bei Grauns Sento, mio dolce amore in diesem Video) oder man bedient sich im kammermusikalischen Repertoire, wie im Falle der vorliegenden Triosonate B-Dur, die uns in der Berliner Amalienbibliothek in einem Konvolut von 12 Sonaten Stölzels überliefert ist. Die stilistische Nähe zu Vertretern der „Berliner Schule“, darunter Johann Gottlieb Graun oder Johann Gottlieb Janitsch, ist unüberhörbar; Stölzel bewegte sich damit in der Avantgarde der Triosonatenkomposition seiner Zeit. Der heiter fließende erste Satz wird gefolgt von einem langsameren, der nichts von der Süße seines Vorgängers behält – dunkel, im Gegensatz zu den B-Dur-Ecksätzen in g-Moll geschrieben, unerbittlich pulsierend, mit schroffen Figuren überrascht er immer wieder. Der letzte Satz ist, wie so oft, ein Menuett und in seiner prägnanten Kürze ein echter „Rausschmeißer“.
Gerd Amelung