Die Erbauungszeit des Schlosses Ehrenstein zu Ohrdruf fällt in die Blüte der Renaissancearchitektur in deutschen Fürstentümern. 1550-1590 im Auftrag des Grafen Georg II. von Gleichen errichtet, sind die kunstvoll geschmückten Ziergiebel, Erker und Tordurchfahrten nach italienischem Vorbild eine besondere Zierde des Schlosses, welches sich heute nach aufwändiger Renovierung wieder der Öffentlichkeit präsentiert. Über das höfische Leben am vergleichsweise kleinen Sitz der Grafen von Gleichen ist wenig bekannt. Bereits 1350 hatten jene die Reste des aufgegebenen Petristiftes erworben, um an dieser Stelle ein neues Schloss zu bauen, jedoch gelang es ihnen erst 1550 den Grundstein für einen neuen Repräsentationsbau zu legen, der dem vergrößerten und erstarkten kleinen Herzogtum eine neue Mitte geben sollte. Die Reste der alten Stiftsgebäude wurden bei weiteren Umbauten in das vierflügelige Schlosskonzept eingebunden. Zuletzt kam die Schlosskirche im Jahr 1617 auf Betreiben der Fürstin Agnes von Hohenlohe-Langenburg dazu. Sie und ihr Gatte Philipp Ernst von Gleichen blieben kinderlos. Deswegen starb im Jahr 1631 die Linie der Grafen von Gleichen endgültig aus und die Obergrafschaft Gleichen mit dem Schloss und der Stadt Ohrdruf gelangten als Lehen an die Grafen von Hohenlohe-Langenburg, einem fränkischen Adelsgeschlecht des Hochadels. Die Grafen von Hohenlohe bauten Schloß Ohrdruf im Stile der Zeit um. Erst 1665 teilten die beiden Hohenloher Linien das Territorium wirklich untereinander auf. Die Stadt und das Schloß Ohrdruf wurden halbiert; die Grafen von Hohenlohe-Langenburg und Hohenlohe-Neuenstein bekamen jeweils eine Hälfte. Sie richteten eine Kanzlei und eine Schösserei sowie ein Konsistorium ein, die die Verwaltung übernahmen. 1698 fiel die Neuensteiner Hälfte an Graf Johann Friedrich von Hohenlohe-Oehringen.
In die Regierungszeit der Hohenlohes fällt das Leben und Wirken der berühmtesten Einwohner von Ohrdruf, Johann Christoph Bach und seines jüngeren Bruders Johann Sebastian. Johann Christoph war Schüler des Erfurter Organisten Johann Pachelbel gewesen und hatte bei ihm eine große Bandbreite europäischer Tastenmusik kennengelernt. Im Jahr 1690 begann er seine Tätigkeit als Kantor an der St. Michaeliskirche in Ohrdruf und wurde somit „Diener“ der Fürsten zu Hohenlohe. Fünf Jahre später nahm der inzwischen verheiratete Johann Christoph seinen fast zehnjährigen Bruder Johann Sebastian in seinem Haus auf. In Ohrdruf ging Johann Sebastian zur Schule und fand in seinem Bruder einen großartigen Lehrmeister im Tastenspiel, der ihm nicht nur die Fertigkeiten auf dem Instrument beibrachte, sondern auch seine Literaturkenntnisse mit ihm teilte. Das Verhältnis zwischen den Grafen zu Hohenlohe und der Bachfamilie wird als sehr gut beschrieben – die Fürsten wussten durchaus, wen sie dort in Ohrdruf angestellt hatten. Als Johann Christoph 1721 starb, unterstützten die Grafen von Hohenlohe die Familie Bach auf verschiedene Art und Weise. Tobias Friedrich, der älteste Sohn, erhielt an der Trinitatiskirche in Ohrdruf ein neu errichtetes Organistenamt, zog aber bald aus seiner Heimatstadt weg. Johann Bernhard, der zweite Sohn, folgte dem Vater an der Orgel der Ohrdrufer Michaeliskirche; der dritte Sohn wiederum, Johann Christoph, nahm dank kräftiger Unterstützung durch die gemeinschaftlich langenburgische Stipendien- und Schulkollektur ein Studium auf. Der jüngste Sohn schließlich, Johann Andreas, befand sich Anfang der 40er Jahre am Langenburger Hof. Der 1707 geborene Sohn Johann Heinrich Bach wurde dagegen 1735 Lehrer und Organist an der Stiftskirche in Öhringen. Zuvor war er nach dem Tod seines Vaters von keinem anderen als seinem Onkel Johann Sebastian Bach in Leipzig als Schüler aufgenommen worden.
Schloss Ehrenstein Ohrdruf
Johann Pachelbel (1653-1706)
Aria con Variazioni, A-Dur
Entstehungsort: unbekannt
Entstehungsjahr: unbekannt
Johann Sebastian Bach (1685 – 1750)
Fantasia duobus subjectis g-Moll, BWV 917
Entstehungsort: vor 1807
Entstehungsjahr: Arnstadt
Heinrich Ignaz Franz Biber (1644 – 1704)
Sonata VI aus "Fidicinium sacro-profanum"
Entstehungsort: Nürnberg (Druck)
Entstehungsjahr: 1683 (Druck)
Johann Heinrich Schmelzer (1623 – 1680)
Sonata à 5
Entstehungsort: unbekannt
Entstehungsjahr: 17. Jahrhundert
Johann Pachelbel – Orgelvater und Wegbereiter
Musikwissenschaftlich betrachtet ist das Leben und Wirken von Johann Pachelbel ein Paradoxon. Zu seiner Lebzeit viel beachtet, kommt die wissenschaftliche Aufarbeitung seines Schaffens zunächst nur sehr träge daher. Häufig ist doch das Gegenteil der Fall, bei dem Komponisten über Jahrzehnte in Vergessenheit geraten und erst durch wissenschaftliche Aufarbeitung an standesgemäße Reputation gelangen. Tatsächlich wird ein Pachelbel-Werkeverzeichnis (PWV) erst seit den frühen 2000er Jahren erstellt und Pachelbel ist neben seinem berühmten D-Dur-Kanon selbst Kennern meist nur durch seine Orgelwerke bekannt.
1653 in Nürnberg geboren erhielt der Sohn eines Weinhändlers dort seine erste musikalische Ausbildung und studierte ab 1669 an der Universität von Altdorf. Wohl aus finanziellen Gründen wechselte er ein Jahr später auf das Gymnasium Poeticum in Regensburg, welches ihm u.a. Orgelunterricht bei Kaspar Prentz, einem Protegé des renommierten Organisten Johann Caspar von Kerll, ermöglichte.1 Kerll selbst begegnete Pachelbel möglicherweise in Wien, während er dort als stellvertretender Organist am Stephansdom tätig war.
Nach Thüringen kam Johann Pachelbel im Mai 1667, zunächst als Organist am Hofe zu Eisenach, später an die Predigerkiche in Erfurt in gleicher Position. In ihrem künstlerischen Schaffen maßgeblich beeinflusst hat Pachelbel die Bachfamilie in Thüringen. Mit Johann Ambrosius Bach (Vater von Johann Sebastian), dessen Taufpate er war, pflegte er freundschaftliche Beziehungen und unterrichte dessen ältesten Sohn Johann Christoph.2 Jener Bach wurde 1690 in Ohrdruf Organist an St. Michaelis und pflegte dort nicht immer einfache Beziehungen zum Herrscherhaus Hohenlohe. Eine dringend benötigte Reparatur der Orgel in St. Michaelis beispielsweise kam erst so richtig in Gang, als sich Johann Pachelbel höchstpersönlich – zu dieser Zeit Stadtorganist in Gotha – einschaltete und eigenhändig eine an den Rat der Stadt Ohrdruf gerichtete Liste mit Mängeln verfasste.3 Dieser mächtige Einfluss Pachelbels kam nicht von ungefähr, galt er doch zu Lebzeiten als ein führender und progressiver deutscher Musiker. Und das nicht ohne Grund: Thüringer Organisten zählten vielfach zu seinen Schülern. Kompositorisch prägte er den Stil der „funktionalisierten Kontrapunktik“ und wird deshalb als Vorgänger von Johann Sebastian Bach angesehen.4
1695 ging Pachelbel schließlich zurück in seine Geburtsstadt, wo er 1706 im Alter von 52 Jahren verstarb. Aus der späten Nürnberger Schaffensphase sind neben Vokal- vor allem Tastenwerke überliefert, wie die im Video erklingende Aria con Variazioni A-Dur. Dieses Stück ist stilistisch identisch mit Pachelbels Werken aus dem Hexachordum Apollinis (Nürnberg, 1699), einer Sammlung von sechs Arien mit Variationen, die laut Titelblatt auf der Orgel oder dem Cembalo gespielt werden können.
Nicht nur die überwältigende Popularität seines berühmten Kanons in D-Dur, sondern auch die Tatsache, dass Pachelbel im Vergleich zu anderen Komponisten der Zeit nie ganz vergessen wurde, macht ihn zu einem Urgestein der Thüringer Musiklandschaft, dessen Wirken Organisten über Generationen prägte und weit über die Landesgrenzen hinaus große Beachtung findet – endlich auch in der musikwissenschaftlichen Aufarbeitung
Tillmann Steinhöfel