Das Adelsgeschlecht der Vögte von Gera bewohnte bis Ende des 13. Jahrhunderts die mittelalterliche Befestigungsanlage hoch über der Saale bei Schleiz. Nach einer zeitweiligen Veräußerung an die Deutschritter errichteten die Herren von Gera eine neue Burg als Randhausburg mit Wohnturm. Zu dieser Zeit wurde das höfische musikalische Leben in Mitteldeutschland von fahrenden Sängern und Musikern geprägt sowie durch bei Hofe tätige gebildete Musiker. Die mittelalterlichen Spielleute bildete keinen eigenen Stand, sondern fassten unter ihrer Berufsbezeichnung eine höchst inhomogene Gruppe aus mehr oder weniger musikalisch gebildeten Musikern, die zu allen gesellschaftlichen Gelegenheiten vom Dorffest bis zur Kaiserkrönung auftraten. Gelegentlich gerieten sie in feste Anstellung bei einem Fürsten, wurden aber bei mangelnder Bezahlung schnell wieder zu Umherziehenden. Auch auf Geheiß ihrer Geldgeber machten sich Musiker auf den Weg, um als Pfeifer, Trompeter und Sprecher der Herzöge beziehungsweise als Bedienstete von Herzoginnen musikalische Erfahrungen zu sammeln, Geld zu verdienen oder fürstliche Aufträge auszuführen. Viele zeitgenössische Darstellungen Musizierender bei Hofe zeigen einen Sänger in Begleitung eines Lautenisten und einer Harfe oder Fidel. In dieser Tradition steht auch das Renaissancelied. Eine andere Möglichkeit der spätmittelalterlichen Hofmusik war die Capella alta mit den Instrumenten Schalmei, Pommer und Zugtrompete. Bald kamen Posaune und Zink hinzu sowie Schlagwerk. Alle diese Instrumente konnte man auch im Consort, also einer Gruppe gleicher Instrumente unterschiedlicher Größen spielen. In die darauffolgende Blütezeit der Vokalpolyphonie fällt der Umbau der mittelalterlichen Burg über der Saale zum Renaissanceschloss, als aus der „Burgk“ eine Residenz wurde. Ob es dort eine eigene Hofkapelle gegeben hat, ist nicht überliefert, aber das Consortspiel mit Renaissancegamben ist mehr als denkbar, wurde die Gambe doch als ausgesprochen höfisches Instrument genutzt. Als Nebenresidenz und Jagdschloss der Greizer Fürsten erfolgte die Weiternutzung des Schlosses Burgk und die enge Anbindung an die Greizer Hofmusik, was auch die Komposition einer eigenen Kantate zur Einweihung der neuen (Hof-)Orgel vom Greizer Komponisten und Kantor Johann Gottfried Donati zeigt, deren Notentext leider nicht erhalten ist. Tatsächlich weisen die Erweiterung der Ausstattung um eine Orgel des berühmten Orgelbauers Gottfried Silbermann im barocken Stil und die Einrichtung eines eigenen Musiksalons auf den hohen Stellenwert des Musizierens auf Schloss Burgk in der Barockzeit und im Rokoko hin.
Schloss Burgk
Melchior Franck
(um 1579–1639)
Pavana. à 4, Nr. 9 und Galliarda. à 4, Nr. 25
aus: “Newer Pavanen, Galliarden, unnd Intraden, auff allerley Instrumenten zu musiciren“
Sätze: Pavana, Galliarda
Entstehungsort: Coburg
Entstehungsjahr: 1603 (Druck)
Melchior Neusidler (1531–1591)
„Wann ich des morgens frü auffsteh“
aus: „Teütsch Lautenbuch“
Entstehungsort: Straßburg
Entstehungsjahr: 1574
Orlando di Lasso (1532–1594)
“Audi dulcis amica mea”
aus „DIXHVYCT CHANSONS IT Aliennes, Six chansons francoises, & Six Motez. Faictz […] par Rolando die Lassus”
Entstehungsort: vermutlich Frankreich
Entstehungsjahr: 1555 (Druck)
Leonhard Lechner (um 1553–1606)
„Halt hart, Herz, höchster Hort“
aus: „Newe Teutsche Lieder, mit Vier und Fünff Stimmen, Welche gantz lieblich zusingen, auch auff allerley Jnstrumenten zugebrauchen“
Entstehungsort: Nürnberg
Entstehungsjahr: 1577 (Druck)
Improvisation über den Choral „Ich weiß, dass mein Ende kommen wird“
nach Johann Gottfried Donati (1706–1782)
Zwischen Minnelied und vokaler Pracht: Musik an der Wende zur Neuzeit
Seit dem frühen Mittelalter ist höfisches Leben auf Schloss Burgk nachweisbar. Das Vorhandensein mehrerer historisch bedeutender Orgeln beweist den hohen Stellenwert, den die Musikausübung in dieser Haupt- und Nebenresidenz hatte. Für die frühe Zeit des geschichtsträchtigen Ortes lässt sich aus musikwissenschaftlichen Erkenntnissen über Mitteldeutschland im Mittelalter und in der Renaissance eine höfische Musizierpraxis rekonstruieren, wie sie auf vielen Burgen und Schlössern gepflegt wurde. Der Übergang vom Spielmannswesen hin zur fest bestallten Hofmusik vollzog sich mit der Zeitenwende zur Vokalpolyphonie und dem komplexeren Bildungsanspruch, der an die Musik gestellt wurde. Zwar war auch im frühen und Hochmittelalter schon auf anspruchsvolle Art musiziert worden, dann aber zumeist im sakralen Kontext.
An dieser Zeitenwende stand der Komponist Melchior Neusiedler, der um 1531 in Nürnberg geboren wurde und zu den virtuosesten Lautenisten seiner Zeit zählte. Aufgewachsen mit dreizehn Geschwistern im bürgerlichen Elternhaus, erlernte er das künstlerische Spiel auf der Laute bei seinem Vater und das polyphone Spiel beim Nürnberger Musiktheoretiker Sebald Heyden. Später pflegte er zum Hause Fugger enge Beziehungen, erreichte aber trotz vieler Versuche an verschiedenen europäischen Höfen niemals eine feste Anstellung. Seine Lautentabulaturen sind vom italienischen Stil beeinflusst und bestehen aus circa zweihundertfünfzig Stücken, darunter auch Tänze und Liedbearbeitungen. 1565 reiste er nach Venedig, wo er zwei Bände mit Lautenmusik veröffentlichte. In Straßburg erschien 1574 sein Teütsch Lautenbuch, welches im deutschen Sprachraum weite Verbreitung fand.
Neusiedler war zweimal verheiratet. Er starb 1591 als Almosenempfänger des Octavianus Secundus Fugger, bereits Jahre zuvor geschwächt durch eine entzündliche Gelenkerkrankung und vom jüngeren Hans Leo Haßler als führendem Komponisten bei den Fuggern in den Hintergrund gerückt.
Ein Schüler Hans Leo Haßlers war Melchior Franck, der um 1579 in Zittau geboren wurde und ab 1603 bis zu seinem Lebensende am 75 Kilometer entfernten Hof in Coburg Hofkapellmeister war. Seine weltlichen sowie geistlichen Vokal- und Instrumentalwerke fanden ebenfalls eine weite Verbreitung im deutschen Sprachraum und stehen exemplarisch für die Hofmusik der Spätrenaissance an mitteldeutschen Höfen. Seine Werke fußen auf der gründlichen Kenntnis des niederländischen polyphonen Kompositionsstiles der Renaissance, wie ihn auch Orlando di Lasso pflegte.
Als omnipräsenter Meister der Vokalkunst nimmt Orlando di Lasso in der Musikgeschichte eine besondere Rolle ein, prägte er doch mit seinen komplexen Kompositionen von außerirdischer Schönheit eine ganze Epoche. Durch den blühenden Musikaliendruck verbreiteten sich seine Werke schnell über ganz Europa und beflügelten Musizierende und Komponisten gleichermaßen. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass seine Werke auch auf Schloss Burgk gespielt wurden.
Der nahezu einzige Komponist, dem man mit Sicherheit eine musikalische Tätigkeit auf Schloss Burgk nachweisen kann, ist der Silbermann-Zeitgenosse Johann Gottfried Donati, Kantor und Stadtschreiber in Greiz. Mit einer Kantate, deren Noten leider verschollen sind, weihte er im Jahr 1743 die von Silbermann erbaute Orgel auf Schloss Burgk ein.
Gertrud Ohse